Kreislauf der Gewalt
Gewalt, die von einem intimen Partner ausgeübt wird, ist zu Beginn für die Betroffenen oft kaum als solche wahrnehmbar. Mit der Zeit entwickelt sich jedoch ein Klima der Anspannung, Angst und Bedrohung.
Gewalteskalationen werden oft durch banale Anlässe ausgelöst, durch einen Streit, bei dem der Mann die Kontrolle über die Situation durch Gewalt sichern will.
Darauf folgen häufig Entschuldigungen und Reueerklärungen, und der Partner verspricht, dass es sich um einen außerordentlichen, einmaligen Vorfall gehandelt hat und dass es nicht wieder vorkommen werde. Danach beginnt oft eine Zeit verstärkter Zuwendung mit Geschenken usw., Opfer und Täter verhalten sich so, als wäre nichts geschehen. Die Frau hofft, dass sich die Gewalteskalation nicht wiederholt, und versucht, alles zu tun, um die Spannung niedrig zu halten. Vor sich selbst verharmlost sie ihre Belastung und die Gefährlichkeit der Situation, vor anderen verheimlicht sie sie.
Erst mit der Zeit merkt die Frau, dass sie das immer stärker werdende gewalttätige Verhalten ihres Partners nicht beeinflussen und kontrollieren kann, auch wenn sie versucht, Situationen der Konfrontation zu verhindern, um Gewaltausbrüche zu vermeiden. Dieses Bemühen stellt sich als Illusion heraus: Der Zyklus der Gewalt hat begonnen, die Gewalteskalationen ereignen sich immer öfter und werden gefährlicher. Die Frau befindet sich in einem Dauerzustand von Unsicherheit, Angst und Belastung.
Frauen, die sich an Hilfseinrichtungen wenden, befinden sich in unterschiedlichen Situationen und Phasen dieses Gewaltkreislaufs. Dies ist in der Beratung stets zu berücksichtigen.
Es zeigt sich, dass in Phasen von akuten Gewaltausbrüchen und gefährlichen Bedrohungen betroffene Frauen am ehesten Notfallstationen oder andere Hilfseinrichtungen aufsuchen, viele zum ersten Mal, viele auch wiederholt. Wichtig ist, in diesem Moment adäquat darauf zu reagieren, d. h. die Zeichen ernst zu nehmen, die Frau zu ermuntern, über ihre Gewaltsituation zu sprechen und Möglichkeiten der Unterstützung und Information anzubieten. (Siehe auch: Gesprächsführung und Beratungseinrichtungen)
Der „Kreislauf der Gewalt“ (auch: Rad der Gewalt), der beschreibt, wie Männer durch die verschiedenen Formen von Gewalt und Drohung Macht und Kontrolle über ihre Partnerinnen gewinnen und sichern, erklärt sehr gut die Dynamik in Gewaltbeziehungen und die von Männern angewandten Strategien.
Kreislauf der Gewalt
(nach der US-amerikanischen Psychologin Walker L.: The battered women syndrome. New York: 1984.)
Was hindert misshandelte Frauen, ihre gewalttätigen Männer zu verlassen?
Die Hauptargumente sind folgende:
1. Die Gefahrensituation: Es hat sich erwiesen, dass die Situation gefährlicher wird, die Häufigkeit und Schwere der Gewalteskalationen zunimmt und das Risiko, getötet zu werden, groß ist, wenn eine Frau sich entscheidet, ihren gewalttätigen Partner zu verlassen.
2. Die Familie und die Liebe retten: Viele Frauen versuchen zuerst, eine Reihe von Möglichkeiten zu nutzen, um die Beziehung zu retten. Es besteht oft die Illusion, dass Liebe die Gewalttätigkeit des Partners ändern könnte.
3. Fehlende Unterstützung von außen: Die Frau, die aus der Gewaltsituation ausbrechen möchte, weiß in vielen Fällen nicht, wohin sie gehen kann, wie sie danach die Existenz für sich und die Kinder sichern kann. Freundinnen/Freunde und Verwandte bieten oft keine Hilfe, möglicherweise erkennen Institutionen wie Polizei oder Gericht die Gewaltbeziehung nicht als solche und sehen die Frau als mitverantwortlich an. Stigmatisierung im sozialen Umfeld, Scham, Schuldgefühle und Isolierung verhindern, dass die Frau sich nach außen wendet, um sich Hilfe zu holen.
4. Besonders ausländischen Frauen fehlen häufig die Möglichkeiten eines familiären und sozialen Netzes, ebenso mangelt es oft an den sprachlichen Voraussetzungen, um ihre Probleme ausdrücken und Informationen verstehen zu können. (Siehe auch: Patientinnen mit Migrationshintergrund)
5. Emotionale Abhängigkeit: Je länger eine Frau mit ihrem Misshandler zusammenlebt, umso stärker kann sich eine emotionale Abhängigkeit entwickeln, in der sie sich schwach erlebt, ohne Fähigkeit und Recht, für sich selbst zu entscheiden.
6. Der Begriff „Stockholm-Syndrom“ vergleicht das Verhalten von Frauen in Gewaltsituationen mit den psychologischen Verhaltensmustern von Geiselopfern (nach einer Geiselnahme 1973 in Stockholm): Die Opfer passen sich an, um zu überleben. Die Bindung an den Täter, der das Überleben garantieren kann, wird so stark, dass die Perspektive des Täters übernommen wird. Dadurch entsteht eine für Außenstehende unerklärliche Loyalität mit dem Misshandler.